Jahrestage

Reflexion ist für mich ein ganz wichtiger Begriff im Leben, weil ich ihn mit vielen positiven Entwicklungsmöglichkeiten verbinde. Solange ich versuche, meinen geistigen und emotionalen Erfahrungsschatz zu vergrößern, habe ich das gute Gefühl, das Leben auch bewusst zu „erleben“. Dazu gehört für mich eben auch, mich mit Dingen, die um mich herum passieren oder die ich erlebe, zu beschäftigen und zu überdenken. Es gibt so viele Dinge, die ich interessant und spannend finde, dass sie es wert sind, darüber nachzudenken und sie zu verinnerlichen. Besonders zu Geburtstagen oder anderen wiederkehrenden Jahrestagen, mache ich gerne eine rückblickende Bestandsaufnahme, die ich immer mit einem Wunsch für die nahe Zukunft verbinde. Mein jüngster Sohn und eine liebe Freundin feiern am gleichen Tag tatsächlich bereits zum 2. Mal ihre Geburtstage unter Corona-Bedingungen. Das ist für mich doch ein denkwürdiger Anlass, kurz innezuhalten und darüber nachzudenken. Ich kann mich noch sehr gut an diese Geburtstagsfeier im März 2020 erinnern. Wir befanden uns ja sozusagen in Schockstarre, weil wir gar nicht fassen konnten, was da über uns hereingebrochen war. Weltweite Pandemie, bundesweite Schulschließungen, Kontaktverbote, LockDown, Home-Office, Distanz-Unterricht etc. – alles Begriffe, die wir bis dahin gar nicht kannten. Sorgen und Ängste machten sich breit und es war schwierig, überhaupt einen klaren Gedanken fassen zu können. Eine nicht enden wollende Nachrichtenflut brach über uns hinein und es war unsagbar anstrengend, in diesem Gefühls- und Informations-Chaos die Übersicht und die Nerven zu behalten. Es ist nicht in erster Linie wichtig, ob man sich vor einem Jahr vorstellen konnte, wie lange und intensiv uns diese Pandemie beeinflussen würde, sondern, wie es sich wirklich anfühlen würde, sie durchstehen und aushalten zu müssen. Ich hätte mir kaum ausmalen können, was wir in einer derartigen Situation alles erleben würden. Die meisten von uns hatten ja gottlob bis dahin sehr wenig Erfahrung mit gesellschaftspolitischen Krisen – zuletzt hat uns 2008 die Finanzkrise beschäftigt. Aber das war eine Krise, die nicht unser tägliches Leben gänzlich auf den Kopf gestellt hat. Vor einem Jahr habe ich schon klar den Wunsch formuliert, dass wir aus dieser Krise vor allem etwas lernen sollten, denn es wurde sehr früh deutlich, was alles im Argen liegt. Diesen Wunsch habe ich nach wie vor und hoffe, dass es sehr viele Leute gibt, die dabei helfen werden, die offensichtlichen Defizite aufzuarbeiten, denn es liegt noch sehr viel Arbeit vor uns – und zwar für unsere gesamte Gesellschaft.

Über die politischen Entscheidungen, Abläufe und Entwicklungen möchte ich hier nicht reflektieren – das wird zur Genüge an anderen Stellen getan. Was mich aber umtreibt, ist eine Erkenntnis, die ich überhaupt nicht „auf dem Schirm“ hatte. Und das ist die zwischenmenschlichen Erfahrung, die wohl jeder für sich machen musste. Man sagt ja, dass Krisen sowohl das Gute als auch das Schlechte im Menschen hervorrufen. Und für beide Seiten gab es wirklich reichlich viele Beispiele. Mann, oh Mann, wenn ich da nur an einen Präsidenten erinnere, der ernsthaft vorschlug, man könne ja mal das Desinfektionsmittel einfach konsumieren oder wenn ich an Staatsmänner denke, die so taten, als gäbe es diese Pandemie gar nicht – das war teilweise fast nicht auszuhalten. Als dann auch immer deutlicher wurde, wie viele Leute insgesamt mit sehr merkwürdigen, kruden und völlig weltfremden Ansichten durch die Welt spazieren, fiel ich beinahe von einer Ohnmacht in die nächste. Da sah ich mich das eine oder andere Mal mit Ansichten konfrontiert und in Gespräche verwickelt, die ich vorher niemals für möglich gehalten hätte. Und vor allem von Personen, die ich etwas anders eingeschätzt hätte. Deshalb rutschte mir auch öfter mal der Spruch über die Lippen, dass Corona offensichtlich auch Hirn fressen würde, denn eine andere Erklärung fand ich für manche hanebüchenen, verbalen Ergüsse einfach nicht.  

Gottlob gab und gibt es jedoch auch die unzähligen positiven Beispiele in dieser Krisenzeit. Es wurde sich um Familienmitglieder, ältere Mitmenschen, Nachbarn oder Freunde gekümmert, es wurden Sicherheitsvorkehrungen ausgetüftelt für die tapferen Mitarbeiter im Einzelhandel, in den Krankenhäusern und den Arztpraxen, es wurden die ersten Nasen-Mund-Schutze genäht, später wurden Maschinen für die professionelle Herstellung von Masken umgebaut, es wurde renoviert, gewerkelt, gekocht und nach dem ersten elektronischen Absturz wurde digital aufgerüstet, was sonst noch vermutlich ca. 100 Jahre gedauert hätte. Autokinos erlebten eine Wiederbelebung und es gab plötzlich Balkonkonzerte. Alle Einrichtungen des öffentlichen, privaten und wirtschaftlichen Lebens haben Hygienekonzepte erarbeitet und umgesetzt …. das ist zusammenfassend einfach eine grandiose Meisterleistung gewesen!! Es hat sich gezeigt, zu was für einer immensen Kreativität wir Menschen – insbesondere in der Gemeinschaft – fähig sind. Über die nervenaufreibenden Seiten der letzten 12 Monate möchte ich nichts schreiben, das erleben wir jeden Tag leider selber und das muss nicht weiter ausgeführt werden. Nur soviel: Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben dürfen, dass wir auch wieder weniger schwierige Zeiten erleben werden. Wir sollten die Augen offenhalten, Probleme benennen und nach Lösungen suchen. Denn es gibt immer einen Weg, auch aus dieser Krise.

Mit zuversichtlichen Grüßen,

Eure Claudia …. Cl.R.

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